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Statement der Jury zur Auswahl der 7. Zirkus ON-Edition


Credits: oben links: Manon Verplancke für Tyr Auf!, oben rechts: Lokke Wurm/N.H.C.O, unten mittig: Maja Zimmerlin/ANASA Productions
Credits: oben links: Manon Verplancke für Tyr Auf!, oben rechts: Lokke Wurm/N.H.C.O, unten mittig: Maja Zimmerlin/ANASA Productions

Die Jury äußert sich zu den eingereichten Bewerbungen und präsentiert die drei ausgewählten Projekte für die 7. Edition des Kreationsprogramms:


„Mit einem starken, vielfältigen und sehr engagierten Bewerberinnenfeld haben wir uns in diesem Jahr als fünfköpfige Jury befasst, um aus insgesamt 50 Einreichungen drei neue Produktionen auszuwählen, die in den kommenden beiden Jahren vom Kreationsbündnis Zirkus ON intensiv begleitet und unterstützt werden. Aus Veranstalterinnen-, Künstler- und Dramaturginnensicht diskutierten wir intensiv, begeistert, kontrovers, aber immer fruchtbar über eine Fülle ansprechender und durchaus verfolgenswerter Projekte, um am Ende trotz aller unterschiedlichen Meinungen und Präferenzen zu einem uns alle überzeugenden, ausgewogenen Ergebnis zu kommen.

Einerseits war unser Auswahlprozess davon getragen, die in den vergangenen Jahren unübersehbar immer bunter und qualitätsvoller gewordene Produktion von Zirkusstücken aus Deutschland weiter zu stärken und ihren unterschiedlichen Facetten zu Sichtbarkeit zu verhelfen. Andererseits bemühten wir uns, Vorhaben auszuwählen, die von den spezifischen Zirkus ON-Instrumenten wie insbesondere dem Mentoring und dem Residenzprogramm möglichst gut profitieren.

 

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Tyr Auf! von Fenja Barteldres

(c) Pablo Wünsch Blanco
(c) Pablo Wünsch Blanco

Die junge Cyr Wheel Artistin Fenja Barteldres strebt in ihrem neuen Stück Tyr Auf! einen Paradigmenwechsel sowohl im Denken als auch in der Handhabung eines Cyrs an. Ihr künstlerisches Potential, ihre konsequente Recherche und das stimmige Setup mit der Livemusikerin Flavia Escartin haben es uns leicht gemacht, uns für Tyr Auf! zu entscheiden.

 


N.H.C.O. von Lokke Wurm


Der abgekürzte Arbeitstitel N.H.C.O. steht für "Nacktheit/Humor und Clownnase als Objekt", was das eigentlich schwer beschreibbare Rechercheprojekt von Elvira Schlegel aka Lokke Wurm (Dey/Deren) umfassend kennzeichnet. Es untersucht, wie Nacktheit und Humor in der Clownsfigur zusammenwirken und welche Bedeutung die Clownsnase als Objekt in der Darstellung von Körper und Geschlecht hat. Was diese Konfrontation in einem Publikum auslöst oder auch nicht auslöst, erscheint uns unglaublich spannend angesichts des Bemühens, die Nacktheit als künstlerisches Mittel zu entsexualisieren und den Körper humorvoll neu zu denken.

 

 

 

 

CELLULA von ANASA Productions

CELULLA Design hochf.
CELULLA Design hochf.

Mit dem Projekt CELLULA der Gruppe ANASA Productions um die Choreografin Maja Zimmerlin, und den Artisten Kritonas Anastasopoulos fusionieren Tanz und Architektur mit Zirkus, ortsspezifischer Installation, theatralischer Black Box und Aspekten der kulturellen Teilhabe. CELLULA findet in einem aus Holzrahmen und Tüchern entworfenen mobilen Theater statt, das die Umgebung als Bühne integriert und Menschen ermöglicht, einen vertrauten Ort neu zu erleben.

 

 

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Schon die Bewerber und Bewerberinnen markieren in diesem Jahr eine erfreuliche Bandbreite derer, die sich mit dem Format des zeitgenössischen Zirkus intensiv auseinandersetzen und hier ihre künstlerische Heimat suchen. So handelt es sich ebenso um etablierte Zirkuskünstler:innen wie um solche, die sich in ihren Anfängen befinden. Unter den Bewerber:innen waren ebenso Künstler:innen mit einschlägiger Zirkusausbildung wie Quereinsteiger, die nicht selten vom Tanz oder ganz anderen künstlerischen Positionen kamen. Es handelt sich um Ensemble- und Solostücke, Projekte für den Öffentlichen Raum, großgedachte Bühnenprojekte, aber auch eher intime Formate.

 

Besonders auffällig erschien uns in diesem Jahr die Vielzahl an Bewerbungen, die sich auf gesellschaftskritische und politische Motive fokussieren und Themen wie Rassismus, Diskriminierung, normative Körperbilder sowie feministische Perspektiven behandeln. Viele dieser Bewerbungen sind vielversprechend, stehen häufig aber noch am Anfang und wirken sehr unfertig, so dass die Erwartungen, die an Zirkus ON als Kreationsformat gestellt werden, zu umfassend und unrealistisch erscheinen. Doch wir haben hier viel künstlerisches Talent und Potential gesehen, sowie konzeptionelle Ansätze, die unbedingt weiterverfolgt und zu einem Stadium ausgeformt werden sollten, damit ein Kreationsformat wie Zirkus ON hier hilfreich ansetzen kann.

Auch wenn zahlreiche Projekte eine große Relevanz im gesellschaftlichen Diskurs beanspruchen, stellten wir auf der anderen Seite doch vielfach auch eine Tendenz zu Selbstreflexion bis Selbstbezüglichkeit fest, so dass das persönliche ICH in einer Vielzahl der Projekte eine recht große Rolle spielte.

 

Erschreckend war festzustellen, dass sich zahlreiche Projekte von Zirkus ON vor allem eine finanzielle Absicherung ihrer Vorhaben erhofften und dabei auf die allgemeinen Streichungen öffentlicher Stückeförderungen verwiesen. Abgesehen davon, dass Möglichkeiten und Verantwortlichkeit des Kreationsbündnis Zirkus ON hierdurch vollkommen überstrapaziert wären, zeigt dies die zu befürchtende Tendenz, dass sich in der jüngsten Zeit aus dringlichster Not öffnende Spielräume für die in Deutschland junge Kunstform der zeitgenössischen Zirkus wieder zu schließen drohen. Der Gefahr, einer gerade höchst lebendig aufblühenden jungen Szene die Grundlagen wieder zu entziehen, gilt es kulturpolitisch entschieden entgegenzutreten.“

 

Die diesjährige Fachjury bestand aus Carolin Hensel-Lippold (Perspektive Dramaturgie/Forschung), Elena Liesenfeld (Perspektive Bühne/Haus), Heiki Ikkola (Perspektive interdisziplinär), Johannes Frisch (Perspektive Bühne/Festival) und Jonas Schiffauer (Perspektive Künstler). Die Awarenessbegleitung übernahm Demba Sanoh von Same but Different. Mehr zur Jury findet ihr hier.

 

Über Zirkus ON

Mit Zirkus ON ist 2018, damals als Arbeitsgruppe des Bundesverbands Zeitgenössischer Zirkus (BUZZ), ein modellhaftes Instrument geschaffen worden, um die Schaffensbedingungen in Deutschland zu professionalisieren. Drei ausgewählte Projekte werden jährlich beispielhaft für zwei Jahre begleitet, um neue Kreationen zu verwirklichen. Das Zirkus ON Programm konzentriert sich bewusst auf den Kreationszeitraum von Probenbeginn bis Abschlusspräsentation. Vor allem geht es um das Kennenlernen der Zirkusakteur*innen, die frühzeitige Anbindung an professionellen Strukturen sowie das Teilen von Wissen und Expertisen in diesem Prozess.

Sechzehn Institutionen bringen aktuell ihre Ressourcen und Expertise im Kreationsbündnis zusammen und tragen zur Weiterentwicklung des Programms bei. Diese Institutionen sind:

Berlin Circus Festival, Blue Balloon Festival (Nordhausen), BUZZ (Köln), Chamäleon Berlin, CircusDanceFestival (Köln), Composé Festival (Jena), Festival PERSPECTIVES (Saarbrücken), Flottmann-Hallen (Herne), Katapult (Berlin), Le Palc (Châlons - FR), Lurupina Zirkusfestival Hamburg, Pfefferberg Theater (Berlin), Ruhrfestspiele (Recklinghausen), Schloss Bröllin, Tatendrang (Bremen), TOLLHAUS/Atoll Festival (Karlsruhe). 

Seit 2019 wurden bereits achtzehn Kreationen vom Bündnis begleitet.

 

Detaillierte Informationen über das Bündnis, die bisher 18 begleitete Projekte und die nächsten Veranstaltungen finden Sie unter: https://zirkus-on.de 

 

 

Zirkus ON wird gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien über das Programm ‚Verbindungen fördern‘ des Bundesverbands Freie Darstellende Künste e.V.

 
 
 

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