Zirkus ON e.V. präsentiert die drei ausgewählten Projekte für die 6. Edition des Kreationsprogramms:
Hybrid (Arbeitstitel) von IceDanceTheater-Fusion
Verortungsbewegungen in Umbruchzeiten: Mit Kufen und Eisboden untersucht Elisa Siegmund im gleitenden Spiel mit Gravitationskräften emotionale Disbalancen. In einem autobiografischen Solo erzählt die Künstlerin auf Kunststoff, als Eis-Alternative, von physischen Herausforderungen, Zwischenwelten und dem “Traum vom Fliegen”.
Projektinitiatorin, Autorin und Interpretin: Elisa Siegmund
(c) Elisa Siegmund
Lasterhaft von La Tanik
Ein großer Wagen auf kurzen Wegen, einerseits in einer jahrhunderte-alten Tradition stehend, andererseits eine zeitgenössische Anlehnung an das umherziehende Zirkusleben. Lasterhaft ist eine one woman Wanderbühne, die ihre eigene Geschichte schreibt.
Projektinitiatorin, Autorin und Interpretin: Carmen La Tanik
(c) Jean-Pierre Estourn
still.dependent der Kompagnie Hanschitz & Beierer
Wie können wir Menschen den „unbelebten Objekten“ dieser Welt endlich auf Augenhöhe begegnen? 3 Performer*innen begeben sich in eine detailreiche Recherche über Mensch-Objekt Beziehungen und befreien dabei das Cyr Wheel aus seiner artistischen Beschränkung als Soloinstrument.
Projektinitiator*innen, Autor*innen: Joël Beierer, Sandra Hanschitz (auch eine der drei Interpretinnen)
(c) Steffen Melch
Jurystatement
Die diesjährige Fachjury bestand aus Jana Korb, Kaja Jakstat, Roxana Küwen, Stefan Schönfeld und Yogi Mohr.
„Es wurden 36 Projekte besprochen, die eine grandiose Vielfalt und Qualität der Circusszene in Deutschland darstellen: verschiedenste Formate, Ästhetiken, Recherche-Visionen und Themen beweisen, dass die Definition, was Circus ist oder sein kann, wächst und wächst.
Die Vielzahl und hohe Qualität der Bewerbungen zeigt, dass Zirkus ON ein wertvolles und wirksames Förderinstrument für eine Sparte ist, die es immer noch schwer hat, im Kontext der freien darstellenden Künste die Unterstützung aus öffentlichen Fördermitteln zu erhalten, die ihr Potential bei Weitem legitimiert. Eine Ausweitung des Programms Zirkus ON auch über die 2025 endende Förderperiode ist also dringend notwendig. Jenseits der drei ausgewählten Projekte wurde eine Vielzahl der Bewerbungen als förderwürdig von der Jury bewertet.
Die zwei Jury-Sitzungen am 2. und 3. April wurden begleitet von zwei Vertreter*innen von Zirkus ON sowie zwei Vertreterinnen der Awareness AG der Initiative Feministischer Circus, die auch im Vorfeld einen Workshop zu diskriminierungssensibler Juryarbeit gegeben hatten.
Die Jury hat die eingereichten Projekte in Hinsicht auf Vielfalt und Diversität der wachsenden Cirkusszene intensiv beleuchtet und sich bemüht, in der Abwägung mit künstlerischen Inhalten die best- mögliche Wahl zu treffen. Sie ist sich bewusst, dass sie dem selbst gesetzten Anspruch nicht gerecht werden konnte und möchte diese blinden Flecken bewusst benennen: kein Projekt bzw. keine künstlerische Leitung hat einen expliziten Bezug zu Migrationsgeschichte oder Rassismus-Erfahrungen, situiert sich außerhalb von binären Geschlechterrollen oder außerhalb der Norm von abled bodies. Zusätzlich zu diskriminierungssensibler Juryarbeit sollte hier unseres Erachtens auch schon viel früher mit Anti-Diskriminierungsarbeit angesetzt werden – in den Ausbildungsstätten für Circus und Artistik, in der circus-pädagogischen Arbeit und bei der Zugänglichkeit künstlerischer Lebensentwürfe für marginalisierte Gruppen ganz allgemein.
Somit hat sich die Jury ihre Auswahl nicht leicht gemacht – es wurde sehr kontrovers diskutiert. Umso mehr freuen wir uns, die drei ausgewählten Projekte vorzustellen, die unter anderem auch durch ihre Unterschiedlichkeit untereinander mindestens einen Ausschnitt der Bandbreite präsentieren, die der zeitgenössische Zirkus in Deutschland repräsentiert:
Im Projekt „Hybrid“ wird genreübergreifende Recherche an der Schnittstelle von Tanz und Circus auf Eiskunstlaufen ausgeweitet. Visuelle Materialrecherche sowie der authentische autobiografische Ansatz der Performerin machen neugierig auf ganz neue Zugänge zu „Cirkunst-lauf“. Der eigens für dieses Projekt benutzte Kunststoff-Boden ermöglicht die genreübergreifende Nutzung an unterschiedlichen Orten ohne Eis. Die Jury findet besonders bestechend, wie sich dabei der künstlerische Umgang mit dem Klimawandel und die Suche nach Antworten auf die Klimakatastrophe bereits in der Wahl der künstlerischen Mittel zeigt.
Mit „Lasterhaft“ gibt es ein Novum für Zirkus ON: Die Kreation eines Stücks für den öffentlichen Raum zu fördern, ist eine Chance, die unterschiedlichen Zirkus-Szenen in ihrer Vielfalt noch mehr zu verknüpfen. Die Direktheit der Performerin mit ihren feministischen Perspektiven auf ihr Leben mit ihrem Laster und der Lasterbühne verspricht das Ursprüngliche des Zirkus neu zu inszenieren. Insofern ist für die Jury spannend, wie sich ihr “Sein” als Zirkus-Künstlerin und ihr “Tun” als Zirkus-Künstlerin verschränken und somit auf die lange Geschichte des Zirkus als reisende Kunst verweisen.
Das Projekt „still.dependent“ ist in seiner Kreation und Produktion schon weit fortgeschritten und zeigt eine Auseinandersetzung von drei Künstlerinnen mit einem gemeinsamen Objekt – Cyr-Wheel. Die innovative intensive Recherche mit dem Cyr und ihren Körpern und die qualitative dramaturgische Arbeit überzeugen, dass das Projekt wegweisend für mehr Sichtbarkeit über den Zirkus-Tellerrand hinaus sein wird.“
Über Zirkus ON
Mit Zirkus ON ist 2018, damals als Arbeitsgruppe des Bundesverbands Zeitgenössischer Zirkus (BUZZ), ein modellhaftes Instrument geschaffen worden, um die Schaffensbedingungen in Deutschland zu professionalisieren. Drei ausgewählte Projekte werden jährlich beispielhaft für zwei Jahre begleitet, um neue Kreationen zu verwirklichen. Das Zirkus ON Programm konzentriert sich bewusst auf den Kreationszeitraum von Probenbeginn bis Abschlusspräsentation. Vor allem geht es um das Kennenlernen der Zirkusakteur*innen, die frühzeitige Anbindung an professionellen Strukturen sowie das Teilen von Wissen und Expertisen in diesem Prozess.
Siebzehn Institutionen bringen aktuell ihre Ressourcen und Expertise im Kreationsbündnis zusammen und tragen zur Weiterentwicklung des Programms bei. Diese Institutionen sind:
Berlin Circus Festival, Blue Balloon Festival (Nordhausen), BUZZ (Köln), Chamäleon Berlin, CircusDanceFestival (Köln), Composé Festival (Jena), Festival PERSPECTIVES (Saarbrücken), Flottmann-Hallen (Herne), Katapult (Berlin), Le Palc (Châlons - FR), Lurupina Zirkusfestival Hamburg, Pfefferberg Theater (Berlin), Ruhrfestspiele (Recklinghausen), Schloss Bröllin, tadaa Magazin (Köln), Tatendrang (Bremen), TOLLHAUS/Atoll Festival (Karlsruhe).
Seit 2019 wurden bereits fünfzehn Kreationen vom Bündnis begleitet.
Zirkus ON wird gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien über das Programm ‚Verbindungen fördern‘ des Bundesverbands Freie Darstellende Künste e.V.
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